Der Kreml und ein Konflikt der Koalition
Olaf Scholz setzt beim Wettbewerb der Systeme weniger auf militärische Stärke als seine Koalitionäre
Es gab eine Zeit, da war Olaf Scholz so links, wie es selbst russische Kommunisten nicht mehr waren. Das war die Juso-Phase des heutigen Bundeskanzlers. Er gehörte zu den ganz Harten, zum Stamokap-Flügel, benannt nach Lenins Begriff für Staatsmonopolkapitalismus. Scholz vernebelte sich in den Grabenkämpfen dieser Zeit sein Gehirn, mit der Wende in der DDR begann sein „Entgiftungsjahr“, wie er sich mitunter selbstkritisch dazu äußerte.
Heute vertritt Scholz das Gegenteil von dem, was er als Juso glaubte. Sein außenpolitisches Denken ist geprägt vom Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis, zur NATO und EU. Schon als Finanzminister hielt er es für richtig, den Verteidigungsetat zu erhöhen, eine deutsche Rüstungsindustrie betrachtet er als erforderlich. Wenn es um den Schutz deutscher Soldaten geht, hat er sich, anders als viele Genossen in der SPD, für bewaffnete Drohnen ausgesprochen.
Dennoch setzt Scholz nicht so sehr auf militärische Stärke, wenn es um den Wettbewerb der Systeme geht. Die Demokratien müssten autoritären Systemen überlegen sein, weil sie besser sind, so lautet seine Überzeugung. Als Kanzler der Ampel hat Scholz es nun mit zwei Partnern zu tun, die sich gerade in der Außenpolitik profilieren wollen.
Das gilt besonders für die Grünen, die eine stärker an Werten und Menschenrechten orientierte Politik gegenüber China und Russland verfolgen. Außenministerin Annalena Baerbock hat sie auf die Formel „Härte und Dialog“ gebracht.
Auch die FDP setzt auf Menschenrechte. Parteichef Christian Lindner erinnert auf Twitter regelmäßig daran, dass der russische Oppositionelle Alexei Nawalny immer noch aus politischen Gründen in Haft ist.
Systemwettbewerb, Konkurrenz, Kooperation
Scholz ist rhetorisch vorsichtiger. Im Falle Chinas sieht er die wirtschaftlichen Verflechtungen, weshalb er nicht die Konfrontation suchen wird. Die „Dreifaltigkeit“ von Systemwettbewerb, Konkurrenz und Kooperation, von der EU geprägt, entspricht seiner Sicht.
Was Russland betrifft, so gehört Scholz nicht zu jenen SPD-Politikern, die Putins Politik zu rechtfertigen suchen, wie es im Extremfall der frühere Kanzler Gerhard Schröder oder der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, tun. Im Gegenteil: Als 2017 die Große Koalition gebildet wurde, achteten Scholz und die damals starke SPD-Frau Andrea Nahles bei der Wahl des Außenministers darauf, dass eine gemeinsame Linie der EU gegenüber Moskau gewahrt bleiben und die nach der Krim-Annexion verhängten EU-Sanktionen nicht aufgeweicht werden sollten.
Dass beide Sigmar Gabriel als Außenminister nicht weiter haben wollten, hatte auch mit eigenen machtpolitischen Motiven zu tun. Heiko Maas wurde aber auch deshalb Chef des Auswärtigen Amts, weil er nicht zum Klub der Freunde Schröders gehörte, dem die früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Gabriel angehörten.
Maas wurde alsbald von Teilen der SPD, etwa den ostdeutschen Ministerpräsidenten Manuela Schwesig und Dietmar Woidke, für seine ziemlich harte Haltung gegenüber Moskau kritisiert. Scholz beruhigte die Kritiker, ohne dass der Kurs geändert wurde.
Nord Stream, Waffen, Ukraine
Anders als damals gibt es nun einen handfesten Konflikt zwischen den Koalitionspartnern, er betrifft die Ostseepipeline Nord Stream 2. Die Grünen haben die Gasleitung von Anfang an abgelehnt, weil aus ihrer Sicht Russland Gas als politische Waffe gegen die Ukraine und Polen einsetzen will, aber auch der fossile Energieträger Gas argwöhnisch betrachtet wird.
Scholz hingegen hat jetzt, wo der zehn Milliarden Euro teure zweite Strang der Leitung fertig ist, kein Interesse daran, das Projekt auf Eis zu legen. Deutschland wird, so betont der Kanzler, in Zukunft wegen des Ausstiegs aus Kohle und Kernenergie deutlich mehr Strom benötigen. Der wird wohl auf absehbare Zeit auch aus russischem Gas gewonnen werden.
Die Grünen hingegen wollen Nord Stream 2 noch stoppen. Sie bringen dabei einen Automatismus ins Spiel: Wenn Putin die Ukraine angreifen sollte, dann wäre Nord Stream 2 gestorben.
Scholz will dieses Spiel nicht mitmachen. Zwar schließt er nicht aus, dass auch die Ostseepipeline von weiteren Sanktionen betroffen wäre. Den Automatismus aber lehnt er ab. Seine Äußerung, es handele sich um ein „rein privatwirtschaftliches Projekt“, hat das demonstriert. Eine Übereinstimmung in der Frage wird in der Koalition schwer zu erreichen sein.
Was die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine angeht, so zeigt sich Scholz einstweilen ebenso zurückhaltend wie seine Vorgängerin. Das hat damit zu tun, dass die Bundesregierung keine Rüstungsgüter in Krisengebiete exportieren will, zudem will Berlin aufgrund seiner Vergangenheit nicht mit Waffenlieferungen in die ehemalige Sowjetunion vorpreschen. Auch die Grünen haben den Vorstoß ihres Vorsitzenden Robert Habeck relativiert – Baerbock zeigte sich in der Frage jüngst zurückhaltend.
Scholz hat in den vergangenen Wochen immer wieder darauf hingewiesen, dass Grenzen in Europa nicht verletzt werden dürften, und damit Warnungen an Moskau gesandt. Berlin würde im Fall eines Angriffs Moskaus auf die Ukraine gemeinsam mit Amerika und den EU-Staaten reagieren. Einstweilen will die neue Regierung allerdings versuchen, eine Eskalation des Konflikts durch Verhandlungen im Normandie-Format zu verhindern.
Dass Scholz einen „Neustart“ mit Moskau plane, wie behauptet wird, wird in der Regierung zurückgewiesen. Wenn Scholz sich alsbald mit Putin treffen sollte – einen Termin gibt es dafür nicht –, dann gehört das zu seinen Aufgaben als Regierungschef. Mit allen beständig reden – das war auch Merkels Devise. Scholz wird ihr wohl auch da folgen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich am 6.1.2022 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.