Nachruf

Außenminister für Appeasement

George Shultz, die treibende Kraft der US-Entspannungspolitik, ist 100-jährig gestorben

Außenminister unter sich: George Shultz und sein russischer Kollege Eduard Schewardnadse 1987 in Washington

Seine Karriere war ganz auf die Wirtschaft programmiert. Als George Pratt Shultz 1920 in Manhattan als Abkömmling deutscher Immigranten zur Welt kam, war sein Vater Chef des Ausbildungsinstituts der New Yorker Börse. Auch ihn zog es bald zur Ökonomie. 1942 schloss er das Grundstudium in Princeton ab, meldete sich bei den Marines und zog als Artillerie-Offizier in den Krieg im Pazifik.

1949 promovierte er in industrieller Ökonomie am Massachusetts Institute of Technology. Auch seine ersten Gehversuche in öffentlichen Ämtern machte der Republikaner Shultz auf dem Gebiet der Wirtschaft: Unter Dwight Eisenhower unterbrach er seine akademische Karriere und stieß zum Mitarbeiterstab des Council of Economic Advisers, des wichtigsten wirtschaftspolitischen Beratergremiums des amerikanischen Präsidenten.

Nach einem Abstecher als Chef des Bau-, Energie- und Industrie-Giganten Bechtel erhielt Shultz 1968 seinen ersten Kabinettsposten als Minister für Arbeit unter dem frisch gewählten Präsidenten Richard Nixon. Nur 18 Monate später machte ihn Nixon zum Leiter des neugeschaffenen Office of Management and Budget, einer Schlüsselstelle im Weißen Haus, von wo aus er nur zwei Jahre später an die Spitze des Finanzministeriums wechselte. Dort blieb er bis zum unrühmlichen Ende der Regierung Nixon.

Außenminister unter Reagan

Shultz überstand die Watergate-Affäre aber unbeschadet, nicht zuletzt, weil er sich geweigert hatte, Untersuchungen gegen politische Gegner des Präsidenten durch die Steuerbehörde IRS zu erlauben. Nixon trug ihm dies noch lange nach. Auf einem der berüchtigten Tonbänder des Weißen Hauses hört man den Präsidenten, wie er Shultz als Waschlappen beschimpft.

Später versuchte Nixon, Schulz‘ Ernennung zum Außenminister Reagans zu hintertreiben, der dafür nicht den nötigen intellektuellen Tiefgang habe. Doch Reagan setzte sich über Nixons Rat hinweg und ernannte Shultz 1982 zum Nachfolger Alexander Haigs, mit dem er sich nicht vertragen hatte. Shultz blieb mehr als sechs Jahre auf diesem Posten, bis zum Ende der Präsidentschaft Reagans im Januar 1989, eine außergewöhnlich lange Zeit.

Als Außenminister ging Shultz in die moderne Weltgeschichte ein. Gegen den Widerstand von starken republikanischen Kräften, die gegenüber der Sowjetunion nur militärische und wirtschaftliche Stärke an den Tag legen wollten, schaffte er es, seinen Chef für eine Politik der Annäherung zu gewinnen. Diese trieb die Administration Reagan zuerst vorsichtig, nach dem Aufstieg Michail Gorbatschows in Moskau entschlossener voran.

Meilensteine im Entspannungsprozess

Der Prozess verlief keineswegs nur harmonisch. Aber er führte zu Meilensteinen im Entspannungsprozess, der später ins weitgehend friedliche Ende des Kalten Kriegs münden sollte. Zu den Erfolgen gehörte der Vertrag über das Verbot landgestützter nuklearer Mittelstreckenraketen (INF) von 1987, der eine ganze Klasse von Massenvernichtungswaffen aus dem Arsenal der beiden Supermächte verbannte.

Der Abzug dieser Waffen, welche die Vorwarnzeit für Angriffe in Europa auf ein gefährliches Maß verkürzt hatten, und der damit einhergehende Aufbau des gegenseitigen Vertrauens spielten bei der weiteren Entspannung auf dem geteilten Kontinent und schließlich auch bei der Wiedervereinigung Deutschlands eine wichtige Rolle.

Wie weit die einst verfeindeten Seiten einander unter Außenminister Shultz nähergekommen waren, zeigte sich nicht nur darin, dass immer wieder Krisen gemeistert werden konnten. Shultz war auch der erste – und einzige – westliche Politiker, der von Moskau im Voraus über den bevorstehenden Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan informiert wurde. Shultz berichtete später, er habe diese Information nur mit Reagan geteilt, und sie hätten sich beide bemüht, das sowjetische Vorhaben zu erleichtern.

Aktiver Beobachter und Kommentator

Shultz blieb, wie viele republikanische Außen- und Sicherheitspolitiker, nach seinem Abgang aus der Regierung in der Denkfabrik Hoover Institution an der Universität Stanford ein aktiver Beobachter und Kommentator. Noch im hohen Alter, während der Regierungszeit von Donald Trump, erhob er seine Stimme gegen die China-Politik Washingtons, das Peking mit Zöllen zu einem regelkonformen Verhalten in den Wirtschaftsbeziehungen zwingen wollte. Zölle seien Steuern, meinte Shultz, und davon hielt der konservative Ökonom nichts. Mit der Bildung einer breiten Koalition von gleichgesinnten Nationen sei es weit besser möglich, die Chinesen zu überzeugen, betonte er. Mit anderen Worten: klassische amerikanische Nachkriegspolitik.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung am 8. Feruar 2021.

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