Asow: Rechtsradikale verteidigen Mariupol
Das Asow-Regiment hat eine anrüchige Geschichte, trotzdem ist es Teil der Nationalgarde
Es war eine staatstragende Botschaft, mit der sich das Asow-Regiment am 28. März an die Bevölkerung Russlands wandte. In einer vom russischen Journalisten Alexander Newsorow verbreiteten Botschaft wünschten die Kämpfer, die bei der Verteidigung der eingeschlossenen Hafenstadt Mariupol die Hauptrolle spielen, „denkenden Russen, ihre Regierung zu stürzen, die ihre Söhne wegen lügnerischer Illusionen einer verdrehten Wirklichkeit in den Tod schickt“.
Zur verdrehten Wirklichkeit gehört demnach die Propaganda, die Russland über die angeblich in der Ukraine regierenden „Faschisten“ verbreitet – und dabei dem Asow-Regiment besondere Aufmerksamkeit widme. „Die Kreml-Propaganda nennt uns Nazis und Faschisten und sich selbst Befreier, die eine ‚Denazifizierung‘ durchführen.“ Tatsächlich sei Asow „eine Unterabteilung der Nationalgarde, in der Ukrainer und Russen, Juden und Griechen, Georgier, Krimtataren und Weißrussen dienen. Wir verurteilen Nazismus und Stalinismus. Denn unser Land hat am meisten unter diesen totalitären Regimen und verlogenen Ideologien gelitten.“
Diese Darstellung ist Regierungslinie und wird auch vom „Zentrum für Gegenwirkung gegen Desinformation“ verbreitet, das an den Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine angebunden ist. Oder von Andrij Melnyk, dem Botschafter in Berlin. „Mariupol wird mutig verteidigt. Und zwar vom Asow-Regiment. Jetzt verstehen Sie, warum die Russen sich in die Hosen machen, wenn sie das Wort ‚Asow‘ hören. Und warum der Kreml diese hässliche Propaganda verbreitet hat, die auch in Deutschland gerne aufgegriffen wird.“
Tatsächlich besteht kein Zweifel daran, dass die Männer des Asow-Regiments seit Wochen Mariupol verteidigen und ohne sie die strategisch wichtige Hafenstadt wohl schon in russischer Hand wäre. Das bestätigte vor einigen Tagen selbst Denis Puschilin, der nominelle Führer der Moskauer Marionettenregion „Volksrepublik Donezk“, als er im russischen Fernsehen dortige Erwartungen auf eine schnelle Einnahme Mariupols mit dem Hinweis auf die „mehreren Tausend Mann“ des Asow-Regiments dämpfte.
Klar ist auch, dass die Moskauer Propaganda, bei der Präsident Wladimir Putin die gesamte ukrainische Führung einschließlich Präsident Wolodymyr Selensky als „Faschisten“ bezeichnet, eine groteske Lüge ist. In Bezug auf Selensky ist sie besonders zynisch angesichts der Tatsache, dass er Jude ist und einen großen Teil seiner Vorfahren durch deutsche Mörder im Holocaust verlor.
Asow: Geboren in Charkiws Fußballszene
Freilich sind etliche Männer des Asow-Regiments alles andere als bekennende Anti-Faschisten und Demokraten. Die Ursprünge der früher Asow-Bataillon genannten Einheit reichen nach Charkiw zurück, der heute ebenfalls heftig umkämpften zweitgrößten Stadt der Ukraine. Dort gehörten Ultrarechte und Hooligans des dortigen Fanclubs FC Metalist Charkiw zu denjenigen, die 2014 im beginnenden Krieg gegen Russland in der Ostukraine als Freiwillige antraten.
Ultranationalistisches und neonazistisches Gedankengut war bei Asow an der Tagesordnung. Asow-Gründer Andrij Bilezkij etwa erklärte 2010, „die historische Mission unserer Nation“ sei es, „die weißen Rassen der Welt in einem finalen Kreuzzug für ihr Überleben, einem Kreuzzug gegen die semitisch geleiteten Untermenschen“ anzuführen. Asow-Kämpfer ließen sich 2014 mit Helmen mit SS-Runen abbilden, noch ein Jahr später zeigten Kämpfer einem polnischen Journalisten Nazi-Tattoos und -Embleme auf ihren Uniformen.
Auch in vergangenen Jahren berichteten englische, US-amerikanische, polnische und deutsche Journalisten über sich freizügig als Nazis bekennende Asow-Kämpfer – und deren große Anziehungskraft auf Rechtsradikale und angebliche weiße Übermenschen aus Deutschland und etlichen anderen Ländern.
Der englische Investigativdienst Bellingcat dokumentierte detailliert die Kontakte von Asow zu US-Rechtsradikalen und der White-Supremacy-Bewegung. Bellingcat-Forscher Oleksii Kusmenko urteilte im Ukraine-Fachdienst des Atlantic Council, Rechtsradikale hätten dem Image der Ukraine geschadet.
Gebraucht wird jetzt jeder Mann
Warum akzeptiert die Ukraine Rechtsradikale in ihren Reihen? Die wohl wesentlichste Antwort: Weil sie froh über jeden ist, der das Land mit der Waffe verteidigt.
Als Russland 2014 die Übernahme ostukrainischer Städte durch russische Geheimdienstler und von ihnen gesteuerte lokale Kräfte organisierte, Waffen und russische Truppen in die Ukraine schickte, stand die damals heruntergewirtschaftete ukrainische Armee mit dem Rücken zur Wand. Präsident Petro Poroschenko und der langjährige Innenminister Arsen Awakow akzeptierten die Aufstellung von Freiwilligenbataillonen, bei denen nicht nur das Asow-Bataillon Männer mit rechtsradikaler oder ultranationalistischer Gesinnung aufnahm, Widersprüche nicht ausgeschlossen: Hauptfinanzier des Asow-Bataillons war in dessen Anfangszeit der jüdische Milliardär und Oligarch Igor Kolomoisky.
Mut und Kampfeseifer der Asow-Männer standen bald außer Frage. Die Asow-Kämpfer machten sich an etlichen Stellen der Front einen Namen, auch bei der Befreiung Mariupols von den russischen „Separatisten“. Der UN-Menschenrechtskommissar berichtete indes 2014/2015 mehrfach über Plünderungen, illegale Festnahmen und Folter durch Asow-Männer.
Gleichwohl wurde das Bataillon zum Regiment aufgewertet und wie andere Freiwilligenbataillone in eine dem Innenministerium unterstellte Nationalgarde aufgenommen. Seitdem ist Asow mit seinem Hauptquartier in Mariupol die zentrale Verteidigungseinheit der strategisch überragend wichtigen Hafenstadt.
Der Grund ist der gleiche wie seit Kriegsbeginn 2014: Die ukrainische Armee ist überfordert, allein das nach Russland größte Flächenland Europas zu verteidigen. Politikwissenschaftler und Ukraine-Experte Andreas Umland meint, die meisten Ukrainer interessieren sich für Symbole und Ideologie der Asow-Kämpfer angesichts ihrer militärischen Schlagkraft herzlich wenig.
Ultranationalismus, Antifeminismus
Gleichwohl urteilte Umland 2020, dass das Szenario einer nach rechts abdriftenden Ukraine ähnlich wie Deutschland in der Weimarer Republik zwar unwahrscheinlich sei, doch seien die politischen Ableger des Asow-Regiments „die möglicherweise größte einheimische rechtsradikal-extremistische Bedrohung für die Demokratie der Ukraine“. Dies vor allem, weil das Asow-Lager mit mehreren politischen Untergruppen eine ultranationalistische, modern verpackte Identität geschaffen habe, die in der ganzen Ukraine vor allem junge Menschen anspreche.
Deren Elemente sind Ultranationalismus, Anti-LGBT-Aktionen oder Gegnerschaft zu Feminismus. Schlagzeilen machten Attacken auf eine Anti-Diskriminierungs-Veranstaltung in Mariupol und 2018 auf einen antifaschistischen Marsch in Kiew. Dazu ein Anschlag auf eine Roma-Siedlung in Lwiw am 23. Juni 2018. Dabei starb ein 24 Jahre alter Mann, vier Menschen wurden verletzt. Die mutmaßlichen Täter sagten aus, sie gehörten zur „Nüchternen und wütenden Jugend“, einer rechtsradikalen Gruppe mit direkter Verbindung zu Asow.
Gleichzeitig ist die politische Durchschlagskraft von Asow und anderen Rechtsradikalen gering. Weder die ultranationalistische Swoboda-Partei noch der Prawy Sektor noch Asow haben nennenswerte politische Unterstützung. Der Asow-Ableger „Nationales Korps“ etwa, geführt von Asow-Gründer Bilezkij, kam bei der letzten Parlamentswahl 2019 selbst in einem Bündnis mit Swoboda und anderen Rechtsradikalen gerade auf klägliche 2,15 Prozent der Stimmen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 1.4.2022 / Alle Rechte vorbehalten: Süddeutsche Zeitung GmbH, München