Leise Zuversicht in Bulgarien
Zwei Hoffnungsträger für Bulgarien. Schaffen sie den Wandel? Werden sie die Korruption besiegen?
Seit einem Dreivierteljahr stellen die Bulgaren ihren Politikern einen ungedeckten Scheck nach dem anderen aus. Eine Mehrheit will radikale Veränderungen, Schluss mit der Korruption, eine neue Moral, einen funktionierenden Staat.
Dafür gingen im Sommer 2020 Zehntausende auf die Straße. Sie hatten genug von einem Ministerpräsidenten, der mit Goldbarren, Geldrollen und Waffen in seinem Schlafzimmer fotografiert wurde, Konkurrenten abhören ließ, der einen Generalstaatsanwalt schützte, der es mit der Strafverfolgung von Mafiosi und Oligarchen nicht sehr genau nahm. Bojko Borissow, der von Brüssel trotz fortgesetzter Korruptionsvorwürfe meist in Ruhe gelassen wurde, weil er zumindest die EU und ihre Regeln nicht infrage stellte, galt und gilt als Schutzherr dieser Mafia.
Aber wer kann den Wandel erzwingen, wer die Covid-Krise in den Griff bekommen? Bulgarien hat die niedrigste Impfquote in der EU. Bei drei Wahlen allein in diesem Jahr – einer turnusmäßigen im April und zwei weiteren, die nötig wurden, weil keine Regierung zustande kam – kam Borissow, der sich jahrelang als Macher und Macho inszenierte, nie auf mehr als ein Viertel der Stimmen.
Populär waren vielmehr kleine und größere, teils neue Reformparteien, die aus den Protesten entstanden waren oder sich zumindest auf sie bezogen. Ihre Protagonisten waren zum Teil keine erfahrenen oder sogar gar keine Politiker; vielen Bulgaren schien dies aber das kleinere Übel zu sein im Vergleich zu den Selbstbedienungsprofis, die sie zur Genüge kannten. Den größten Vertrauensvorschuss bekam, gleich zweimal hintereinander, der Entertainer Slawi Trifonow, der sich jedoch als egozentrischer Wirrkopf erwies.
Frische Leute, die Hoffnung machen
Nun, im dritten Anlauf, haben aus dem Stand zwei Fachleute ein Viertel der Stimmen geholt, die seriös wirken, im Ausland ausgebildet sind und als Experten in der Übergangsregierung keine großen Fehler gemacht haben. Es ist mithin ein erneuter Versuch der Bulgaren, frisches Personal an die Spitze des Landes zu schicken, das den Namen Reformer auch verdient.
Ob Kiril Petkow und Assen Wassilew die in sie gesetzten, hohen Erwartungen erfüllen können, ist fraglich; ebenso ist völlig ungewiss, ob es ihnen überhaupt gelingt, eine Koalition zu bilden. Sie müssten mit Kräften zusammenarbeiten, die sich in der Vergangenheit als unzuverlässig und populistisch erwiesen haben. Und sie müssten eine mächtige Nomenklatura samt der sie stützenden mafiosen Strukturen bekämpfen, was einer jungen Partei ohne jeden organisatorischen Unterbau und ohne breite Basis immens schwerfallen dürfte.
Trotzdem ist so etwas wie leise Zuversicht besonders bei den jüngeren Wählern zu spüren, die es satthaben, ihre Zukunft im Ausland zu planen, weil sie die Zustände daheim unerträglich finden. Sie hoffen auf die Neuen.
Aber: Zwei Drittel der Bulgaren sind gar nicht mehr wählen gegangen; sie haben offenbar mittlerweile die Hoffnung aufgegeben, dass sich aus der Parteienlandschaft noch eine konstruktive Kraft herausschält. Dass zudem nur ein Viertel überhaupt gegen Covid geimpft ist und Verschwörungstheorien grassieren, zeugt ebenfalls von einer wachsenden Staatsferne und großem Misstrauen gegenüber allen etablierten Kräften.
Vorläufig geben nur noch Präsident Rumen Radew und die nach wie vor amtierende Expertenregierung dem Land einen Rest Stabilität. Eine vierte Wahl in diesem Jahr darf es nicht geben.
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 16.11.2021 / Alle Rechte vorbehalten: Süddeutsche Zeitung GmbH, München