Trotz Nawalny: ‚Wir machen weiter‘

Ronald Pofalla zum Fall Nawalny: ‚Russland wird über kurz oder lang reagieren‘

von Jan Emendörfer
Setzt weiter auf den Austausch auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Ronald Pofalla

Im Jahr 2001 wurde der Petersburger Dialog vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Leben gerufen. Er versteht sich als bilaterale Gesprächsplattform und wird von politischen und privaten Stiftungen, von deutschen und russischen Unternehmen sowie von den Regierungen beider Staaten unterstützt. Der ehemalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU), der heute Vorstand bei der Deutschen Bahn ist, leitet das Gesprächsforum seit 2015 als Vorsitzender auf deutscher Seite.

Mit Pofalla sprach Jan Emendörfer vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), wo der Text zuerst erschienen ist.

Herr Pofalla, der Petersburger Dialog hat sich immer bemüht, die deutsch-russischen Beziehungen voranzubringen. Hat mit Alexei Nawalnys Verurteilung nun auch bei Ihnen der gute Wille ein Ende?

Ronald Pofalla: Wir verurteilen aufs Schärfste, was derzeit in Russland passiert! Das Gerichtsurteil gegen Alexei Nawalny widerspricht jeglichen rechtsstaatlichen Prinzipien. Unsere Mitgliederversammlung des deutschen Petersburger Dialogs fordert die unverzügliche Freilassung von Nawalny und auch aller inhaftierten Demonstrant*innen.

Das Urteil gegen Nawalny fußt auf einem Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2017 als „willkürlich“ und als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren eingestuft hat. Russland – als Mitgliedstaat des Europarats – hatte sich verpflichtet, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen. Auf friedliche Demonstrationen mit derart unverhältnismäßig hartem Vorgehen zu reagieren, das ist nicht hinnehmbar. Die Situation hat sich zugespitzt und das deutsch-russische Verhältnis damit in eine weitere Krise gestürzt.

Was bedeutet das für den Austausch im Petersburger Dialog?

Das hat schon Auswirkungen. Unser Austausch basiert auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Unser wichtigstes Thema dabei: die demokratischen Grundwerte. Was wir jetzt erleben, das gefährdet die Grundlagen eines zivilgesellschaftlichen Engagements in Russland. Das wirft uns aktuell zurück.

Welchen Ausweg können Sie sich aus der jetzigen festgefahrenen Situation vorstellen?

Erstens: Auf der deutschen Seite des Petersburger Dialogs sind wir uns einig, unverzüglich die russische Seite auf allen Ebenen aufzufordern, sich für eine Freilassung von Alexei Nawalny und den anderen Inhaftierten einzusetzen. Ich nehme direkt Kontakt auf zu Wiktor Subkow, dem Vorsitzenden des Petersburger Dialogs auf russischer Seite.

Zweitens: Wir machen weiter. Über die Jahre haben wir hautnah erfahren, dass wir nur über eine vertiefte und ausgeweitete Zusammenarbeit zwischen den Zivilgesellschaften unserer Länder zu gegenseitigem Vertrauen und offenen Diskussionen kommen. Die aktuelle Situation zeigt für mich, wie wichtig es ist, das nicht aufzugeben.

Könnte Nawalny auf Druck des Westens und wegen der Proteste im eigenen Land freigelassen werden, wird er im Straflagersystem verschwinden oder halten Sie es für möglich, dass er ausgebürgert wird wie einst Alexander Solschenizyn?

Alles ist möglich. Ich denke, der internationale Druck wird so hoch sein, dass Russland über kurz oder lang reagiert.

Russland arbeitet daran, die Gesetze gegen Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus der Zivilgesellschaft zu verschärfen. Was bedeutet das?

Dass solche Gesetzesvorhaben vorangetrieben werden zeigt, wie tief das Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft in den russischen Staatsorganen sitzt. Bemerkenswert ist, dass in der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft des Petersburger Dialogs Russen und Deutsche diese beabsichtigten Gesetzesänderungen gemeinsam abgelehnt haben. Als „ausländischer Agent“ gilt ja in Russland offiziell schon lange, wer aus dem Ausland finanzielle Unterstützung erhält und politisch tätig ist. Das wird nun verschärft: Künftig sollen die NGOs alle geplanten Aktionen und Programme verpflichtend beim Justizministerium einreichen müssen. Das Ministerium kann die Aktionen verbieten, ohne dafür Gründe zu nennen.

Gehen Sie davon aus, dass das auch im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen steht?

Ja, denn auch die Demonstrationsfreiheit wird weiter eingeschränkt. Im September 2021 wird die Staatsduma der Russischen Föderation gewählt; kurz vor dem Auftakt des Wahlkampfs verabschiedet die Staatsduma ein ganzes Paket repressiver Gesetze, die auf Einschränkung der Bürger*innen und Organisationen zielen.

Welche politischen Gesprächsformate sind derzeit noch möglich, was sollte man aus Ihrer Sicht anschieben?

Ich hege einige Hoffnungen für das geplante Treffen der EU-Außenminister, die sich am 22. Februar zu möglichen weiteren Sanktionen gegen Russland verständigen wollen. Im März wird das sicher auch Thema beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs.

Wie stark leiden die wirtschaftlichen unter den politischen Beziehungen?

Das Russland-Geschäft wird nicht einfacher. Zu den Sanktionen kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie und ein Rubel, der gegenüber dem Euro erheblich an Wert eingebüßt hat. Dabei hat Russland einen hohen Bedarf an hochwertigen Technologien und Produkten aus dem Westen. Die EU ist wichtigster Handelspartner und stärkste Quelle für Investitionen in Russland.

Es gibt immer mehr Stimmen, die sagen, man müsse jetzt endlich das Projekt Nord Stream 2 stoppen. Sind Sie auch dafür?

Wir müssen über jeden denkbaren Schritt diskutieren. Ich bin der Meinung, dass Sanktionen wirkungsvoll und europäisch eingebettet sein müssen. Erfolgreich sind sie, wenn sie von einer breiten Mehrheit von Staaten getragen werden. Sanktionen müssen den russischen Finanzmarkt und jene Oligarchen treffen, die für das undemokratische System stehen. Was wir nach meiner Meinung nicht brauchen, sind Sanktionen, die auch deutsche und europäische Unternehmen treffen. Diese sind schließlich nicht für den Anschlag auf Nawalny und das, was jetzt in Russland passiert, verantwortlich.

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