Jugendaustausch

Deutsch-Russisches Jugendwerk: Hält doppelt genäht besser?

Thomas Hoffmann, Geschäftsführer der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch: ‚Zwei Strukturen nebeneinander sollte es nicht geben.‘

von Sabine Meinert
Offen für Zusammenarbeit: Thomas Hoffmann

Im November 2020 haben 80 Persönlichkeiten aus Kultur und Politik einen Appell der „Initiative für ein Deutsch-Russisches Jugendwerk“ der Europäischen Gesellschaft e. V. (Potsdam) an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin unterzeichnet und fordern: „Baut ein Deutsch-Russisches Jugendwerk auf.“ Es gibt bereits eine solche Einrichtung, die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch. Was sagte der dazu?

KARENINA: Wo steht der deutsch-russische Jugendaustausch?

Thomas Hoffmann: Basierend auf dem bilateralen Abkommen über jugendpolitische Zusammenarbeit von 2004 ermöglicht die Stiftung jährlich rund 17 000 Schülern, Azubis und jungen Erwachsenen, das jeweils andere Land zu erleben. Das erscheint angesichts der Größe beider Länder nicht besonders viel, ist angesichts der politischen Situation aber eine wertvolle Möglichkeit der Begegnung.

Die Stiftung ist die wichtigste Anlaufstelle für Information, Beratung, Kontakte. Jedes Jahr stellen 600 bis 700 Jugendorganisationen, Institutionen beruflicher Bildung oder Schulen Anträge für eine Förderung. Dafür stehen zwei Millionen Euro für außerschulische Begegnungen und etwa 600 000 Euro für den schulischen und beruflichen Jugendaustausch zur Verfügung.

Welche Chancen eröffnen sich durch die Pläne, nun ein deutsch-russisches Jugendwerk zu gründen?

Den Appell zur Gründung des neuen Jugendwerks haben fast 80 namhafte Persönlichkeiten aus beiden Ländern unterzeichnet, darunter Martin Walser, Otto Schily, Eberhard Diepgen, Justus Frantz, Volker Schlöndorff. Allerdings weiß die russische Seite offiziell noch nichts von diesem Vorhaben. Das sorgt für Irritationen, denn in Moskau will man gemeinsame Aktivitäten mitentwickeln und mitgestalten.

Die Stiftung begrüßt jegliches Engagement für mehr Jugendaustausch zwischen Russland und Deutschland. Das könnte Chancen bieten, die Förderung auszuweiten. Derzeit kann die Stiftung nur 55 bis 70 Prozent der Anträge positiv bescheiden, weil das bereitstehende Förderbudget nicht ausreicht. Der Bedarf ist höher als die Möglichkeiten der Stiftung.

Für ein Jugendwerk müsste es zunächst ein neues Jugendabkommen zwischen den Staaten geben. Die Teilnehmerzahl im deutsch-russischen Austausch könnte mit besserer finanzieller Ausstattung als bisher schnell verdoppelt werden. Eine Kooperation mit der neuen Initiative ist also mehr als wünschenswert. Aber zwei Strukturen nebeneinander sollte es nicht geben.

Wie könnte eine Zusammenarbeit aussehen?

Alles, was den deutsch-russischen Jugendaustausch betrifft, muss mehr in die Öffentlichkeit. Es ist wichtig zu zeigen, dass er – abseits von außenpolitischen Differenzen, Querelen oder zeitweiser Funkstille – gut funktioniert. Das empfinden auch unsere russischen Partner.

Die gute und vertrauensvoll laufende Kooperation ist den überregionalen Medien aber selten eine Zeile wert. Der Austausch von Pfadfindern, Jugendfeuerwehren, Lehrlingen oder auch deutsch-russische Schulprojekte werden nicht wahrgenommen. An dieser Stelle könnte die Initiative eine wertvolle Unterstützung sein.

Die Stiftung fördert aber nicht nur bilaterale Zusammenarbeit, sondern auch multilaterale Projekte. In Camps und Jugendforen — zum Beispiel mit Finnland, Weißrussland, der Ukraine — werden Ökologie, Stadtentwicklung oder Technik diskutiert, manchmal auch das Alltagsleben, wie in einem Projekt, das russische und deutsche Jugendliche mit Gleichaltrigen aus Tansania zusammenbringt.

Wie sollte es nun weitergehen?

Grundsätzlich ist die jugend- und bildungspolitische Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland aktuell so gut wie nie. Russland hat mit keinem anderen Land der Erde ähnlich intensive jugendpolitische Beziehungen wie mit Deutschland. Das russische Interesse ist immens hoch, den Austausch noch zu intensivieren.

Und: Jugendlichen einen Blick ins Ausland zu ermöglichen, ihr Weltbild zu erweitern und eine breite Förderung zu erreichen, ist ein wichtiger Punkt der Friedenssicherung in Europa. Hier müssen wir alle zusammenarbeiten.

Das Gespräch führte Sabine Meinert. Es ist ursprünglich erschienen im Rotary Magazin, Ausgabe Januar 2021.

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