Kultur in Russland

Kultur zur Verständigung, wo Politik versagt

Deutsche und Russen bringen Richard Wagners „Rheingold“ in zwei Bergbaumetropolen im Ural

Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk: Wagners "Rheingold" in Russland.

Die von der Berliner Produktionsfirma RCCR organisierte deutsch-russische Orchesterakademie an der Philharmonie der russischen Industriestadt Jekaterinburg beschert der Region seit längerem schon kulturelle Großereignisse, im vergangenen Jahr sogar das weltweit einzige Beethoven-Festival mit internationaler Spitzenbesetzung. Als Höhepunkt des laufenden Jahres der deutschen Kultur in Russland konzipierte RCCR jetzt eine erste hochklassige, halbszenische Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“ an der Swerdlowsker Philharmonie sowie in der russischen Panzerschmiede Nischni Tagil, die das Auswärtige Amt großzügig unterstützte, und zu der Katharina Wagner als Leiterin der Bayreuther Festspiele ein Grußwort beisteuerte.

Für das Projekt arbeiteten Wagner-Experten aus Deutschland mit russischen Kollegen vor Ort. Wohlweislich ging man nicht von der Originalorchestergröße von 123 Musikern aus, sondern von der sogenannten Coburger Fassung für einen reduzierten Klangkörper ohne Wagnertuben und Basstrompeten, der freilich auf gut sechzig Instrumentalisten aufgestockt wurde. Und weil die Themen von Wagners Gesamtkunstwerk – unser Verhältnis zur Natur, unsere ewig wachsenden Ansprüche – so aktuell sind, beteiligten die Musiker beider Länder sich auch an ökostrategischen Rahmenveranstaltungen.

Die Ural-Region um Jekaterinburg, die vielen Gästen mit ihren alten Betonfunktionsbauten „typisch russisch“ vorkommt, lebt vom Bergbau, der die Landschaft zerklüftet und Gewässer vergiftet. Bei einer Diskussion über Umweltfragen, ausgerichtet von der Jekaterinburger Bergbau-Universität, bekundeten die russischen Instrumentalisten, sie bemühten sich durch den Verzicht auf Plastiktüten und Einweggeschirr um Müllvermeidung, doch ihre Möglichkeiten der Einflussnahme seien gering. Umso mehr seien die großen Rohstoffkonzerne gefordert, statt in Fußball in Umwelttechnologie zu investieren, mahnte der slowenischstämmige Posaunist Tine Bizajl.

Russische Bergbau-Studenten berichteten, dass seit diesem Jahr in ihrer Region neu entwickelte Drohnen Daten zur Luft-, Wasser- und Bodenqualität sammelten. Der Universitätsrektor Alexej Duschkin betonte, Russland gehe beim Umweltschutz durchaus eigene Wege und bringe insbesondere seine im internationalen Vergleich dünne Besiedlung in Stellung. Russlands Problem, dass viele jüngere Menschen ans Emigrieren denken, wie die Gäste aus Deutschland auch in Jekaterinburg feststellen konnten, gerät so wenigstens klimapolitisch zum Vorteil.

Zu den Quellen der Goldgewinnung begaben sich die Sängersolisten bei einem Besuch in der nahe Jekaterinburg gelegenen Stadt Berjosowski, wo 1745 die russische Goldgräberei begann und wo die Helden des Musikdramas sich selbst als Goldwäscher versuchten. Die Instrumentalisten, die das Schmiedegehämmer klanglich zu vergegenwärtigen hatten, wurden durch das historische Eisen- und Kupferwerk von Nischni Tagil geführt, das, 1725 gegründet von dem Unternehmerklan der Demidows, den Nibelungen des Urals, bis in die Perestroikazeit funktionierte und als Freilichtindustriemuseum eine grandiose Theaterkulisse abgibt.

Um die Schätze des Wagnersounds mit seinen seidigen Schichtungen und ahnungsvollen Leitmotiven nuanciert erstrahlen zu lassen, erarbeitete der Dirigent Christoph Stöcker die Produktion, selbst Bayreuth-erfahren wie auch der Geiger Andreas Neufeld, der ihm am Konzertmeisterpult zur Seite stand. Dass das Orchester auf der Bühne zurückgesetzt und hinter einem transparenten Projektionsvorhang agierte, erzeugte, wie schon die über Pedaltönen aufbauende Weltschöpfungsmusik des Vorspiels ohrenfällig machte, obendrein einen Wagnerischen Mischklang.

Russische Sängersolisten

Das Eröffnungsstück der „Ring“-Tetralogie zeigt, dass die Glücklichen durch ihre Arroganz selbst jene Rache-Energien mobilisieren, die ihnen am Ende zum Verhängnis werden. Der Regisseur Georg Blüml kleidet die drei Rheintöchter – betörend gesungen von Solistinnen des Philharmoniechors – in schulterfreie Hochzeitsroben und lässt sie in ihrem erotisch-wässrigen Element, das auch Videowogen des Medienkünstlers Lillevan veranschaulichen, Schwimmbewegungen vollführen und mit Oliver Zwarg als brünstigem Alberich ihr hohnlachendes Spiel treiben. Mit seinem mächtigen Bassbariton, der zwischen schwarzem Furor, geschmeidigem Parlando und fahlem Sprechgesang alle Ausdrucksregister zieht, sowie der Schauspiellust, mit der er die aus Erniedrigung erwachsende Energie seiner Figur zelebriert, macht Zwarg die Aufführung vor einem infolge der Corona-Auflagen mit 75 Prozent vollbesetzten Saals zum Theaterereignis.

Der Himmelspatriarch Wotan (majestätisch: Geert Smits), der für seine Palastimmobilie erst gar nicht und dann nur mit von Alberich abgepresstem Raubgold zu zahlen bereit ist, erhebt den Hochmut zum ökonomischen Prinzip, inspiriert dadurch aber auch den machtgierigen Riesen Fafner (von finsterer Eleganz: Lukasz Konieczny) zum Brudermord und hat auch seine statusbewusste Gattin Fricka (mit königlichem Schmelz: Elena Zhidkova) infiziert. Der geschmeidige Tenor und der listige Charme von Markus Schäfer als Loge, dessen Erscheinung mit Videoflammen unterlegt wird, macht die Figur des Versuchers und Problemlösers zum Publikumsliebling, und der bestens aufgelegte Ferdinand von Bothmer gab einen jugendlich beseelten Meisterschmied Mime.

Doch auch russische Sängersolisten gehörten zum Cast, etwa die junge lyrische Sopranistin Viktoria Masljukowa aus dem sibirischen Krasnojarsk als entführte Jugendgöttin Freia oder der imponierende Bariton Maxim Schlykow von der Jekaterinburger Oper als gewittererzeugender Donner. Die Regie, die Ring, Burg und Riesenschlange per Video, den Blitz indes nur in der Saalbeleuchtung Ereignis werden ließ, führte auf eine Weise durch die musikalische Erzählung, die an Konzertbühnen Schule machen könnte.

Kultur zur Verständigung, wo Politik versagt

Nach den Proben gingen viele Sänger und Instrumentalisten aus Deutschland, obwohl sie kein Russisch können, in die Oper, um Nikolai Rimski-Korsakows „Zarenbraut“ zu erleben, am freien Nachmittag sah man sie im Kunstmuseum, wo neben Ikonen und Gemälden Eisenabgüsse bekannter Marmor- oder Bronzeskulpturen zu bewundern sind, eine Spezialität der Region. Der Mime-Sänger von Bothmer, der, wie er sagt, viele russische Freunde hat, aber nie zuvor in Russland war, findet, Kooperationen wie die beim „Rheingold“, bei der man einander auch ohne Worte verstehe, seien gerade jetzt wichtig. Kultur müsse Verständigung dort herstellen, wo die Politik versage.

Von Bothmer lobt aber auch die Qualität der Jekaterinburger Oper sowie die Jekaterinburger selbst, die, wie man merke, ihre Kultur schätzen und pflegen. Auch der polnischstämmige Fafner-Darsteller Konieczny schwärmt, bei seinem ersten Besuch in Russland hätten die Menschen ihn angenehm überrascht.

Zum Abschluss wird Wagners Musikdrama in Nischni Tagil aufgeführt, der Hauptproduktionsstätte russischer Panzer, deren maskuliner Ruppigkeit die einer Fernsehserie entnommene Redensart „Tagil gibt den Ton an“ (Tagil rulit) huldigt. Im ausverkauften Betonbau der Philharmonie sitzen die Musiker auf offener Bühne, auf dem Videoschirm über ihnen dreht sich der blutige Goldring, den Sängersolisten bleibt nur ein schmaler Laufsteg. Doch auch diese statischere Darbietung verzaubert das Publikum, Zwarg verwandelt sich trotz Frack durch suggestive Kieferbewegungen und Hüpfer in jene Kröte, als die Alberich von Wotan und Loge gefangen genommen wird. Als die Solisten nach der Vorstellung die Lobby durchqueren, brandet ihnen Jubel entgegen, was es in seinem Haus noch nicht gegeben habe, wie der Philharmoniedirektor versichert. Ende August soll die Produktion in Blaibach im Bayerischen Wald und auf der Seebühne des Klosters Aldersbach gezeigt werden.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 30.6.2021 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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